Patienten mit chronischer Migräne mit Medikamentenübergebrauchskopfschmerz, die ein Achtsamkeitstraining zusätzlich zur Standardtherapie erhielten, erreichten signifikant häufiger eine Reduktion der Kopfschmerzfrequenz um =50% als Patienten ohne zusätzliches Training.
Eine chronische Migräne (CM) ist durch das Auftreten von Kopfschmerzen an ≥ 15 Tagen im Monat über einen Zeitraum von ≥ 3 Monaten definiert. Die CM kann mit einem Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (medication overuse headache [MOH]) assoziiert sein. Patienten mit CM und MOH leiden unter erheblichen Schmerzen und Beeinträchtigungen im Alltag. Die Krankheit ist mit hohen persönlichen und gesellschaftlichen Belastungen verbunden. Es gibt medikamentöse und nicht-medikamentöse Ansätze zur Behandlung der CM mit MOH.
Achtsamkeitstraining in der Kopfschmerztherapie
Unter den nicht-medikamentösen Behandlungen gewinnen Achtsamkeitstrainings beim Migräne-Management zunehmend an Bedeutung. Achtsamkeitstrainings sollen die Patienten befähigen, ihre volle Aufmerksamkeit auf den aktuellen Moment zu lenken und dabei ihre Gedanken, Körperempfindungen und Sinneseindrücke zu beobachten, ohne sie zu bewerten. Ziel ist es, die Akzeptanz für die Beschwerden zu erhöhen und so beispielsweise Schmerzen als weniger quälend zu empfinden.
Eine vorangegangene Studie eines Teams um die Neurologin Dr. Licia Grazzi am Istituto Neurologico Carlo Besta in Mailand konnte zeigen, dass ein Achtsamkeitstraining zusätzlich zur üblichen Therapie (treatment as usual [TaU]) bei Patienten mit CM und MOH die Kopfschmerzfrequenz und die Einnahme von nichtsteroidalen Antirheumatika kurzfristig senken kann [1].
In einer nicht randomisierten Pilotstudie berichteten Patienten, die ein Achtsamkeitstraining absolviert hatten, von einer Besserung der Kopfschmerzfrequenz und des Medikamentengebrauchs über ein Jahr, die der ähnelte, die bei einer anderen Gruppe von Patienten durch eine medikamentöse Prophylaxe erzielt worden war [2].
MIND-CM-Studie zu langfristigen Effekten
Bislang fehlten jedoch kontrollierte klinische Studien zu den langfristigen Effekten einer Kombination von Achtsamkeitstraining und TaU. Dies holten Licia Grazzi und Team nun mit der MIND-CM-Studie nach [3]. Die MIND-CM-Studie sollte zeigen, ob eine TaU plus Achtsamkeitstraining der Standardtherapie allein bei Patienten mit CM und MOH überlegen ist. Hierzu wurden Kopfschmerzfrequenz (Attackenfrequenz), Medikamenteneinnahme, Lebensqualität, Depressionen und Ängstlichkeit, kutane Allodynie, Bewusstsein für innere Zustände, arbeitsbezogene Schwierigkeiten und Krankheitskosten bei Patienten mit TaU und TaU plus Achtsamkeitstraining (TaU plus) verglichen.
TaU und Achtsamkeitstraining
Die kontrollierte, einfach-verblindete Studie wurde in einem spezialisierten Kopfschmerzzentrum des Istituto Neurologico Carlo Besta durchgeführt. Die Standardtherapie für Patienten mit CM und MOH an diesem Zentrum bestand aus dem Medikamentenentzug bei Übergebrauch, medizinscher Edukation zum korrekten Medikamentengerbrauch und vorteilhaftem Lebensstil sowie einer individuell angepassten Prophylaxe. Das Achtsamkeitstraining wurde in sechs Gruppen-Sitzungen durchgeführt. Zusätzlich trainierten die Teilnehmer 7-10 Minuten täglich ihre Achtsamkeitsübungen selbstständig.
Randomisierung und Verblindung
Die Randomisierung der Patienten übernahmen die an der Studie beteiligten Wissenschaftler. Ein Neurologe und Experte für verhaltenstherapeutische Ansätze bei Kopfschmerzen leitete die Achtsamkeitstrainings in der TaU plus Gruppe. Der Neurologe, der die Patienten in die Studie aufnahm, das Follow up in den Monaten 3, 6 und 12 durchführte und die Outcomes evaluierte, war in Bezug auf Gruppenzugehörigkeit der Teilnehmer verblindet. Alle Patienten wurden regelmässig daran erinnert, ihre Gruppenzugehörigkeit geheim zu halten.
Endpunkte der Studie
Der primäre Endpunkt war eine Reduktion der Kopfschmerzfrequenz um ≥50% gegenüber Baseline nach 12 Monaten. Die sekundären Endpunkte umfassten Medikamenteneinnahme, Lebensqualität Behinderung, Kopfschmerzauswirkungen (Headache Impact Test [HIT-6]), Verlust produktiver Zeit, indirekt, direkte und Gesamtkrankheitskosten.
Gruppe mit Achtsamkeitstraining erreicht häufiger den primären Endpunkt
Für die Studie wurden 177 Patienten des Zentrums 1:1 in eine TaU und eine TaU plus randomisiert. Den primären Endpunkt erreichten signifikant mehr Patienten in der TaU plus-Gruppe als Patienten, die ausschließlich die Standardtherapie erhielten (78,4% gegenüber 48,3%; p < 0,0001). Auch bei den sekundären Endpunkten schnitt die Gruppe mit TaU plus besser ab.
Achtsamkeitstraining in die Therapie integrieren
Die Autoren erachteten die Behandlung mit TaU plus Achtsamkeitstraining bei einer CM mit MOH als überlegen gegenüber einer ausschließlichen Behandlung mit TaU. Ein Achtsamkeitstraining sollte daher als Teil der regulären Therapie bei CM mit MOH betrachtet werden.
Die MIND CM-Studie wurde vom italienischen Gesundheitsministerium gesponsort von und ist auf ClinicalTrials unter der Nummer NCT03671681 einzusehen.
Quellen:
Wetsch, B. Achtsamkeit hilft bei chronischer Migräne mit MOH. www.gelbe-liste.de/neurologie/chronische-migraene-medikamentenuebergebrauch; zuletzt aufgerufen am 22. Oktober 2023
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