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Hormonbehandlung bei Migräne: Therapeutische Zwickmühle 

Als Ursache der menstruellen Migräne gelten schwankende Östrogenspiegel. Mit hormonellen Kontrazeptiva könnte man gegensteuern. Doch erhöhen diese bei bestimmten Patientinnen die Gefahr von Schlaganfällen drastisch, weshalb die Indikation streng zu stellen ist.

AdobeStock 557559279 wellphoto mit ANN LogoMehr als jede zweite Frau mit Migräne beobachtet einen Zusammenhang zwischen den Attacken und dem Zyklusgeschehen, 7–14 % der Patientinnen leiden an einer reinen menstruellen Migräne. Sie liegt dann vor, wenn die Attacken ausschliesslich zwei Tage vor bis drei Tage nach der Periode und mindestens während zwei von drei Zyklen auftreten. Bei der menstruationsassoziierten Form kommen weitere Attacken zu anderen Zeitpunkten hinzu.

Den komplexen hormonellen Schwankungen während des weiblichen Zyklus, insbesondere dem Östrogenabfall in der späten Lutealphase, schreibt man eine ursächliche Bedeutung zu. Aber auch der Entzug von exogenen Gestagenen– sowohl bei zyklischen Formen der Hormonersatztherapie als auch im Rahmen einer kombinierten oralen Kontrazeption – kann die Anfälle auslösen.

CGRP-Antikörper beugen den Migräneattacken vor

Man nimmt an, dass der Migräne pathophysiologisch eine erhöhte nozizeptive Aktivität des trigeminovaskulären Systems zugrunde liegt, die zu einer Dilatation intrakranieller Gefässe und zu einer meningealen Inflammation führt. Als entscheidender Mechanismus in der Genese von Migräneattacken wird heute die Freisetzung des Neuropeptids CGRP* betrachtet. Triptane blockieren diesen Vorgang und stoppen damit akute Attacken; prophylaktisch haben sich CGRP-Antikörper als wirksam erwiesen. An der neurogenen Entzündung ist ausserdem das vasoaktive Peptid Substanz P beteiligt.

Östrogen reduziert sowohl den CGRP- als auch den Substanz-P-Spiegel und wirkt damit protektiv gegen die neurogene Entzündung. Der aktivierende Effekt von Progesteron auf die beiden Peptide wird durch Östrogen gehemmt. Von einer Kombination der beiden Hormone zu therapeutischen Zwecken kann man deshalb eine stabilisierende Wirkung auf die Freisetzung von CGRP und Substanz P erwarten.

Östrogen kann aufgrund seiner modulierenden Eigenschaften auf andere Einflussgrössen auch indirekt antinozizeptiv wirken und auf diese Weise die Migräneanfälligkeit herabsetzen. Dazu gehören die Aktivierung des serotonergen und des inhibitorischen GABA**-Systems ebenso wie die Stimulation der endogenen Opioid- und Oxytocinproduktion.

Dies könnte erklären, warum niedrige Östrogenspiegel in der späten Lutealphase die Schmerzempfindlichkeit steigern. Untersuchungen in verschiedenen Zyklusphasen bestätigen die Annahme. Zudem wurde bei Frauen, die unter menstrueller Migräne leiden und eine kombinierte hormonelle Kontrazeption erhalten, eine erniedrigte Schmerzschwelle in der hormonfreien Phase beobachtet.

Östrogengabe mit Pflaster, Gel oder per Implantat

Therapeutisches Ziel bei menstrueller Migräne könnte demnach sein, den Östrogenabfall in der späten Lutealphase abzuschwächen. Dies lässt sich durch verschiedene Schemata kombinierter oraler Kontrazeptiva unter Einschluss von Ethinyestradiol erreichen. Sofern keine Kontrazeption erwünscht ist, könnte man Östrogen in der kritischen Phase mittels transdermaler Pflaster, Gelen oder subkutaner Implantate zuführen. Die Datenlage für die hormonellen Optionen ist insgesamt jedoch sehr dünn.

In der Schweizer Therapie-Empfehlung für Migräne wird zur Kurzzeitprophylaxe der menstruellen Migräne vor allem das langwirksame NSAR Naproxen (Halbwertzeit 12–15h) oder ein Triptan mit langer Halbwertszeit empfohlen. Die Einnahme sollte die Patientin zwei Tage vor der erwarteten Menstruation beginnen und für fünf oder sechs Tage fortsetzen. Siehe auch den Beitrag hier.

Vorbeugend kann zusätzlich die kontinuierliche Gabe eines kombinierten oralen Kontrazeptivums erwogen werden, um die Zahl der Zyklen zu reduzieren. Zur perkutanen Gabe von Östrogen wird nicht geraten, vor allem, weil nach dem Absetzen verzögerte Migräneattacken zu befürchten sind.

Die Hormongabe kann jedoch das Schlaganfallrisiko steigern, das insbesondere bei Migräne mit Aura ohnehin erhöht ist. Literaturrecherchen zufolge beträgt das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall bei Frauen ohne Migräne 2,5/100.000 pro Jahr, wenn keine hormonelle Kontrazeption erfolgt. Verhüten diese Frauen hormonell, steigt ihr Risiko auf 6,3/100.000. Noch deutlicher zeigt sich der Einfluss der zugeführten Hormone bei Migränepatientinnen: Ohne Aura beläuft sich ihr Herz-Kreislauf-Risiko auf 4,0/100.000, unter hormoneller Kontrazeption steigt es auf 25,4/100.000 an. Migräne inklusive Aura ist assoziiert mit einem Risiko von 5,9/100.000, durch eine Hormongabe erhöht es sich auf 36,9/100.000.

Experten verschiedener europäischer Fachgesellschaften haben auf Basis dieser Zahlen u.a. folgenden Konsens gefunden: Vor der Verordnung kombinierter oraler Kontrazeptiva sollte man die Migräne genau charakterisieren und vaskuläre Risikofaktoren erfassen. Grundsätzlich ist eine Formulierung mit niedrigem Östrogenanteil (< 35 µg Ethinylestradiol) oder ein reines Gestagenpräparat zu wählen. Bei Migräne mit Aura sollten gar keine kombinierten Präparate verwendet werden. Das Gleiche gilt bei Migräne ohne Aura und gleichzeitig vorliegenden weiteren Risikofaktoren. Zur Verhütung ist es für diese Frauen ratsam, auf nicht-hormonelle Methoden auszuweichen.

* Calcitonin Gene-Related Peptide
** Gamma-Aminobuttersäure


Adaptiert nach dem Originalbeitrag:
Angelika Bischoff. Hormonbehandlung: Therapeutische Zwickmühle. Medical Tribune. www.medical-tribune.de/medizin-und-forschung/artikel/therapeutische-zwickmuehle; zuletzt aufgerufen am 1. Dezember 2023

Quelle:
Göbel H et al. Schmerzmedizin 2023; 39: 38-51; DOI: 10.1007/s00940-023-4123-3

Bild: Adobe Stock/Towfiqu Barbhuiya

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