Menstruationsassoziierte Migräne kann durch hormonelle Kontrazeption wirksam reduziert werden. Allerdings gehen sowohl Migräne als auch Östrogenzufuhr mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko einher. Ist das ein Grund, Migränepatientinnen eine hormonelle Kontrazeption vorzuenthalten?
Hormonelle Faktoren können das Auftreten und den Verlauf primärer Kopfschmerzerkrankungen entscheidend beeinflussen. Gemäss Dr. Fitzek weiss man heute, dass stabil hohe Östrogenspiegel eher protektiv wirken, während ein Östrogenabfall wie während der Menstruation Migräneattacken auslösen kann. Hormonelle Strategien können menstruationsbedingte Migräne um 77–81% reduzieren. Dabei kommen Fitzek zufolge sowohl kombinierte orale Kontrazeptiva mit verlängertem Zyklus zum Einsatz als auch eine Gestagen-Monotherapie. Als Wirkstoffe kommen auch neue Östrogenderivate wie Estradiolvalerat oder Gestagenderivate wie Dienogest infrage.
Ist die Zurückhaltung bei der Verordnung der «Pille» unbegründet?
Die Zufuhr von Östrogenen ist mit einem erhöhten Schlaganfallrisiko assoziiert. Dasselbe trifft auf die Migräne zu, besonders auf die Migräne mit Aura. Aus diesem Grund ist die Verordnung östrogenhaltiger Präparate einschliesslich Kontrazeptiva an Migränepatientinnen umstritten. Man weiss heute, dass das Schlaganfallrisiko unter hormonellen Kontrazeptiva massgeblich von der Östrogendosis abhängig ist. Mittlerweile gibt es viele Präparate, bei denen die Östrogendosis unter 20μg liegt, was nachweislich bei Nichtraucherinnen nicht zu einem erhöhten Schlaganfallrisiko führt.
Die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) stellte bereits vor zehn Jahren in einer Pressemitteilung klar, dass bei Migränepatientinnen ohne weitere Risikofaktoren wie Rauchen, Dyslipidämie oder Alkoholkonsumstörung nichts gegen den Einsatz kombinierter hormoneller Kontrazeptiva spreche. Das gelte auch dann, wenn eine Migräne mit Aura vorliege [1]. Damit hat sich die DMKG von den Leitlinien der WHO abgesetzt, denen zufolge bei Patientinnen mit Migräne grundsätzlich keine östrogenhaltigen Kontrazeptiva verschrieben werden sollten.
Gemäss Prof. Dr. Arne May, (DMKG) ist das absolute Schlaganfallrisiko für junge Patientinnen mit einer Migräne mit Aura jedoch leicht erhöht, wobei das Risiko allerdings auch von der Aktivität der Migräne abhängt. Das relative Risiko ist bei hoher Frequenz der Auren höher als bei seltenen Attacken. Kommen zur Migräne mit Aura weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren (Rauchen usw.) hinzu, steigt das Schlaganfallrisiko. Patientinnen mit einer Migräne mit Aura sollten über diese Zusammenhänge aufgeklärt werden.
Es ist auch zu bedenken, dass eine Schwangerschaft mit spezifischen Risiken einhergeht. Grundsätzlich sollten zusätzliche vermeidbare Risikofaktoren (Nikotin, erhöhte Blutfette übermässig Alkohol usw.) vermieden bzw. behandelt werden. Sollten keine weiteren Risikofaktoren bestehen, spricht bei entsprechender Aufklärung auch bei Patientinnen mit Migräne mit Aura nichts gegen eine kombinierte hormonelle Kontrazeption aus Östrogen und Gestagen. Als Ausweichmethode sollte auf die Möglichkeit der Kontrazeption mit einem reinen Gestagen-Präparat hingewiesen werden.
Inwiefern beeinflusst Migräne die Kontrazeptivaverordnung?
Um das Verordnungsverhalten von GynäkologInnen hinsichtlich hormoneller Kontrazeptiva bei Migränepatientinnen zu evaluieren, führte Dr. Fitzek mit ihrem Team eine beschreibende Beobachtungsstudie durch. Dazu schrieben sie alle 11’834 in Deutschland niedergelassenen GynäkologInnen an. 851 (7,2%) davon schickten den ausgefüllten Fragebogen zurück.
Die Auswertung ergab, dass mehr als 90 % der Befragten ihre Patientinnen regelmässig nach Migräne mit oder ohne Aura fragen, bevor sie ein hormonelles Kontrazeptivum verschreiben. Eine Migräne mit Aura nahmen mehr als 90 % der ÄrztInnen zum Anlass, kein Kombinationskontrazeptivum zu verschreiben. Fast die Hälfte der Befragten verordneten auch Gestagen-Monopräparate gar nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen. Bei einer Migräne ohne Aura verordneten 3/4 der Befragten ein Kombinationspräparat nur unter bestimmten Bedingungen, beispielsweise bei Abwesenheit weiterer Risikofaktoren. Fast alle hatten bereits wegen einer Migräne eine bestehende Kontrazeption abgesetzt oder modifiziert.
Gestagen-Monopräparate werden ausdrücklich empfohlen
Deutsche GynäkologInnen verschreiben hormonelle Kontrazeptiva bei Migränepatientinnen zurückhaltender als das notwendig wäre. Dass sich diese Zurückhaltung bei Migräne mit Aura auch auf Gestagenpräparate erstreckt, steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass bei reinen Gestagenpräparaten nicht mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko zu rechnen sei. Die European Headache Federation empfehlt bei Migränepatientinnen Gestagene sogar als hormonelle Kontrazeption der Wahl.
Gemäss Prof. Dr. med. Gabriele Merki, Oberärztin Klinik für Reproduktions-Endokrinologie am Unibversitätsspital Zürich, sollen Migränikerinnen ihre Verhütungsproblematik mit dem Facharzt gründlich diskutieren. Auch Hormonspiralen können einen negativen Einfluss auf den Migräneverlauf haben, dagegen sind Kupferspiralen hier neutral. Mehrere Studien der letzten Jahre belegen, dass
die Anwendung des Gestagens Desogestrel zur Verhütung menstruelle und auch nicht menstruelle Migränen verbessern kann. Auch nicht hormonelle Migränen, wie die chronische Migräne, werden positiv beeinflusst. Verhütungsmittel mit nur Gestagenen erhöhen das Schlaganfallrisiko nicht, was als weiterer Benefit angesehen werden muss. (2)
Basierend auf einem Kongressbericht zu Hormonelle Kontrazeption zu dem Referat von Dr. Mira Pauline Fitzek, Neurologie, Charité, Universitätsmedizin Berlin, am Deutschen Schmerzkongress 2022, verfasst von: Dr. med. Thomas M. Heim
1. Pressekonferenz DMKG München 16.April 2012 Antibabypille bei Migränepatientinnen ohne Aura – kein gesteigertes Risiko für Schlaganfall oder Herzinfarkt! DMKG relativiert Leitlinien-Empfehlungen zur oralen Empfängnisverhütung bei Migränepatientinnen
2. www.headache.ch: Frauen und Migräne von Prof Dr. med. Gabriele S. Merki
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