Migräne und Gene: Es liegt in der Familie
Migräne ist etwas, das Sie geerbt haben – nicht etwas, das Sie selbst verursachen. Das Verständnis der Rolle, die die Genetik bei Migräne spielt, kann für die Diagnose, Behandlung und Akzeptanz hilfreich sein.
Migräne ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die vererbt wird, und nicht etwas, das sich die Betroffenen selbst zuzuschreiben haben. Das heisst, die Veranlagung zur Migräne ist in der DNA, dem Erbgut verankert. Manchmal werden Generationen übersprungen, in der Regel sind jedoch mehrere Mitglieder einer Familie betroffen. Es gibt eine eindeutige Vererbbarkeit der Migräne, die bei Migräne mit Aura grösser ist als bei Migräne ohne Aura. In vielen Familien wird Migräne als dominantes Merkmal vererbt: Wenn ein Familienmitglied daran erkrankt ist, besteht eine mindestens 50-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass auch die Nachkommen daran leiden. Das Verständnis der genetischen Grundlagen der Migräne hilft Menschen mit Migräne, besser mit ihrer Erkrankung umzugehen, ohne sich selbst die Schuld an ihren Symptomen zu geben.
Warum ist es wichtig, dass Ärzte eine Migräneanamnese erheben?
Eine Migräneanamnese ist aus mehreren Gründen sinnvoll. Erstens kann eine familiäre Migräneanamnese bei der Diagnosestellung helfen. Der zweite Aspekt betrifft bestimmte seltene Varianten der Migräne, wie die hemiplegische Migräne. Wenn eine hemiplegische Migräne in der Familie vorkommt, ist das ein Signal für den Arzt, andere Behandlungsmethoden in Betracht zu ziehen. Interessanterweise können die Gene, die eine familiäre hemiplegische Migräne verursachen, auch normale Migräneanfälle auslösen.
Andere Gründe sind ein wenig subtiler. Wenn ein Familienmitglied eine Behandlung ausprobiert hat und sehr gut darauf angesprochen hat, könnte dies ein Grund für den Arzt sein, diese Behandlung auch bei dieser Person zu versuchen. Nicht nur die eigentliche Migränekrankheit selbst hat eine genetische Grundlage, sondern auch das Ansprechen auf die Behandlung.
Ein weiterer wichtiger Grund für die Erhebung der Migräne-Familienanamnese ist die Tatsache, dass Eltern die Migräne an ihre Kinder vererben können. Da sich Migräne bei Kindern anders äussert als bei Erwachsenen, ist es wichtig, an die Möglichkeit einer Migräne zu denken. Solange die betroffenen Kinder keine Diagnose haben, werden sie oft missverstanden und verdächtigt, eine Krankheit vorzutäuschen, um beispielsweise nicht in die Schule zu müssen. Das kann für das Kind langfristige, negative psychologische Folgen haben.
Da Migräne unterdiagnostiziert ist, müssen Gesundheitsdienstleister die Frage nach der familiären Migräneanamnese manchmal neu formulieren, um die Antwort zu finden. Manchmal wird ein Patient sagen: «Nein, niemand in meiner Familie hat Migräne». Die Frage kann auch anders gestellt werden, etwa so: «Hatte jemand in Ihrer Familie starke Kopfschmerzen oder Anfälle, bei denen sie sich in einen dunklen Raum legen mussten? Oder Kopfschmerzen in der Stirnhöhlenregion?» Und dann erinnern sie sich und sagen: «Oh ja, das kam ständig vor. » Es ist gut möglich, dass Familienmitglieder eindeutig an Migräne erkrankt waren, aber nie eine entsprechende Diagnose erhalten haben.
Gibt es ein Migräne-Gen?
Abgesehen von einigen sehr seltenen Erkrankungen wie der hemiplegischen Migräne konnte bisher kein spezifisches Gen identifiziert werden, das eindeutig für die Migräne verantwortlich ist. Es ist wahrscheinlicher, dass nicht nur ein einziges Gen, sondern 10 bis 20 Gene beteiligt sind. Das macht die Untersuchung der Migränegenetik sehr viel komplizierter. Zum jetzigen Zeitpunkt können wir keinen Gentest durchführen, um ein bestimmtes Gen zu identifizieren, das für die Migräne verantwortlich ist. Der ultimative Traum wäre es, die verantwortlichen Gene zu identifizieren und auch verwandte Gene zu untersuchen, um das Ansprechen auf verschiedene Behandlungsarten vorherzusagen.
Auf dem Gebiet der Genetik sind wir noch nicht so weit, aber eines Tages wird es so sein. Die Gentechnologie ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass ein Test, der früher 100’000 Franken kostete, heute nur noch ein paar Hundert kostet. Es ist wahrscheinlich, dass in naher Zukunft Gesundheitsdienstleister in der Lage sein werden, Gentests durchzuführen, um eine präzise, personalisierte Medizin zu praktizieren.
Wie passt das Geschlecht zu Migräne und Genetik?
Die Prävalenz von Migräne ist bei Frauen deutlich höher, und es ist klar, dass Migräne nicht rein genetisch bedingt ist. Es gibt Faktoren, die mit dem weiblichen Geschlecht zusammenhängen, wie z.B. Hormone, die wahrscheinlich die genetische Komponente der Migräne verstärken.
Sollte jemand mit Migräne einen Gentest durchführen lassen?
Nein, denn es gibt keine Tests, um die Gene zu identifizieren, die Migräne verursachen können. Zum jetzigen Zeitpunkt werden Gentests für häufige Migräneformen nur in der Forschung durchgeführt.
Ausnahmen sind beispielsweise Menschen mit hemiplegischer Migräne, d.h. einer Migräne mit halbseitiger Lähmung während der Anfälle. Diese Betroffenen könnten einen Gentest in Erwägung ziehen, um festzustellen, ob sie eine der Mutationen aufweisen, die bekanntermassen eine halbseitige Migräne verursachen.
Ausserdem gibt es einige seltene genetische Syndrome wie CADASIL, bei denen Menschen mit Migräne auch an fortschreitender Demenz, Depression und wiederkehrenden Schlaganfällen leiden. Bei CADASIL liegt eine genetische Mutation in einem Gen vor, das hauptsächlich in Blutgefässen exprimiert wird. Dieses genetische Syndrom weist spezifische Anomalien auf, die auf einem MRT zu sehen sind. Menschen mit diesen Syndromen sollten einen Gentest in Erwägung ziehen. Bei der überwältigenden Mehrheit der Migränepatienten machen Gentest zum aktuellen Zeitpunkt jedoch keinen Sinn, ausser sie dienen der Forschung.
Warum sind Gentests bei hemiplegischer Migräne wertvoll?
Einige der genetischen Mutationen, die mit dieser Form der Migräne in Verbindung gebracht werden, sind auch mit anderen neurologischen Problemen verbunden. Manche Menschen haben Krampfanfälle, andere leiden an einer so genannten Ataxie, einer Störung des Gleichgewichts aufgrund einer Funktionsstörung des Kleinhirns. Ein Grund für die Durchführung von Gentests bei Menschen mit hemiplegischer Migräne ist es, auf weitere Folgen dieser Mutationen aufmerksam zu werden.
Gentests zur Familienplanung?
Selbst bei hemiplegischer Migräne werden zur Familienplanung keine Gentests empfohlen. Die Anfälle sind zwar sehr beängstigend, wenn sie auftreten. Sie treten in der Regel aber zu selten auf, um die Lebensqualität derart zu beeinträchtigen, dass deswegen auf Kinder verzichtet werden müsste.
Adaptiert nach
Migraine and Genetics: It's All in the Family von MigraineAgain
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