Wisi-art: Ein Testimonial der besonderen Art
Vom Manager zum Künstler. Im Interview mit Migräne Action erzählt T. W. (Name der Redaktion bekannt), wie die Migräne seine berufliche Karriere und zwischenmenschlichen Beziehungen belastet hat und wie die Kunsttherapie ihm half, sich seiner Migräne zu stellen.
Zur Person T. W.
T. W. ist männlich, 46-jährig. Migräne hat er schon seit seiner Jugend. Oder viel mehr starke Kopfschmerzen. Die eigentliche Migräne begann vor sechs Jahren. Der Auslöser ist unklar. Er vermutet einen Autounfall im Jahr 2018 mit Schleudertrauma als Ursache. Seit dann hat er Migräne und war deshalb sogar einige Monate arbeitsunfähig. Nach einer COVID-Infektion im Jahr 2020 hat die Migräne dann nochmals zugenommen. Gleichzeitig hat er einen neuen Job begonnen. Eine internationale Position mit viel Verantwortung und Reisetätigkeit. Weshalb die Migräne so stark zugenommen hat? War es COVID? War es der Stress? Oder doch der Unfall? Oder eine Mischung von allem? Auf jeden Fall forderten über 20 Migränetage pro Monat während zwei Jahren Ihren Tribut. Es kam das Unausweichliche. Auf Anraten der Neurologin und Psychiaterin fand eine Einlieferung in eine Klinik statt. Diese Behandlung hat endlich den Trend gestoppt und die Migränetage sind weniger geworden.
Im Interview mit Migraine Action erzählt T. W. seine Geschichte:
Sie waren mitten im Berufsleben in einer verantwortungsvollen internationalen Leitungsfunktion, als Ihr Leben eine unerwartete Wendung genommen hat. Erzählen Sie uns davon.
T. W.: Ich hatte mit grosser Freude meinen neuen Job im Januar 2020 begonnen. Zum ersten Mal eine internationale Funktion mit Reisetätigkeit in der ganzen Welt. Ich habe mich sehr gefreut und voller Enthusiasmus die Stelle angetreten. Nach drei Monaten hatte COVID die ganze Welt im Griff. Auch mich hat es erwischt. Ich hatte nur milde Symptome, doch seit dann hat meine Migräne zugenommen.
Wie stark hat Sie die Migräne in Ihrer Arbeit eingeschränkt und was haben Sie unternommen?
Das fiese an einer starken Migräne-Attacke ist ja, dass sie einen lahmlegt und man nichts dagegen machen kann. Ich erinnere mich an einen Geschäftsflug nach Los Angeles unter Migräne. Horror! Man wünscht sich Ruhe, Dunkelheit, Schlaf. Ich sage nur so viel: Nach dem Flug kannte mich die ganze Crew. Sie haben sich liebevoll um mich gekümmert. Aber nach der Ankunft war natürlich nicht ans Arbeiten zu denken. Denn bei mir dauert eine Attacke bis zu 72 Stunden. Das hiess Hotelzimmer und Ruhe. Zum Glück war mein Kunde auch Migräniker und hatte daher Verständnis.
Mittlerweile unterscheide ich Leute in zwei Typen: Diejenigen, die Verständnis haben und Migräne kennen und diejenigen, die es einfach nicht nachvollziehen können und denken, Migräne sei einfach starke Kopfschmerzen. Aber das stimmt leider nicht. Migräne ist mehr als das.
Irgendwann konnten Sie nicht mehr weiterarbeiten?
Nein, irgendwann ging es nicht mehr. Lustigerweise habe jedoch nicht ich die Notbremse gezogen, sondern meine Psychiaterin. Sie ist gleichzeitig Neurologin und auch selbst Migränikerin und hat daher sehr viel Verständnis. Sie hat an einem Punkt gesagt: «Stopp, jetzt geht es nicht mehr weiter.» Sie hat mich für zwei Wochen krankgeschrieben und die Einweisung in eine Klinik organisiert. Natürlich hat sich in mir alles gegen diese Einweisung gesträubt. Denn was würde das mit meiner Karriere machen? Der Gedanke war jedoch schnell weggeräumt. Denn meine Ehe stand auch auf dem Spiel. Eine Beziehung leidet darunter, wenn man zweimal in der Woche einfach «out» ist und die Wochenenden nie planbar sind, weil man eventuell wieder mit Migräne im Bett liegt. Zum Glück war meine Frau sehr supportiv und hat mich sofort unterstützt. Nach vier Wochen Wartezeit konnte ich in die Burnout Abteilung eintreten.
Wieso hat man sie mit Migräne in eine Burnout-Abteilung verwiesen? Wieso keine neurologische Klinik?
Das hatte ich mich zu Beginn auch gefragt. Ich dachte, ich sei dort sicher falsch. Die Prämisse war jedoch, dass Stress als Auslöser hinter meiner Migräne steckt. Deshalb lag der Fokus auf Entschleunigung, lernen mit den vorhandenen Ressourcen umzugehen und Massnahmen neben den Medikamenten zu entwickeln, welche ich bei einer Migräne Attacke nutzen kann. Es waren sehr emotionale und intensive neun Wochen im Sanatorium Kilchberg. Aber eine Zeit, die mir sehr guttat und sehr geholfen hat.
Und Sie kamen dabei auch mit Kunst in Berührung. Wie kam das?
Genau. Dazu muss ich sagen, dass ich bis dann keinerlei Berührungspunkte mit Kunst gehabt hatte. Auf dem Wochenprogramm stand jedoch: «Kunsttherapie». Ich dachte «Oh mein Gott! Was ist das denn? Das ist sicher nichts für mich!» Doch meine Mitpatienten und Therapeuten haben mich dazu motiviert, es auszuprobieren. Und jeder, der seit Jahren an Migräne leidet weiss, dass man alle versucht, um die Migräne endlich in den Griff zu kriegen. Und so entschloss ich mich, in die Kunsttherapie zu gehen.
Wie muss man sich eine solche Therapie vorstellen?
Ich weiss nicht wie solche Therapien generell ablaufen. In Kilchberg waren diese jedoch sehr auf einen zugeschnitten. Meine erste Sitzung hatte ich während einer Migräneattacke. Ich habe mich aus dem Bett gekämpft und bin trotzdem zur Therapie gegangen. Zusammen mit meiner Therapeutin haben wir versucht, die vorhandenen Emotionen in einem Bild auszudrücken. Spannenderweise ist daraus mein Bild vom «Hugo» (so heisst meine Migräne), einem Hund entstanden. Die Idee war nun, mit der Migräne in Kontakt zu treten. Das Bild hat dabei geholfen und dient mir auch jetzt noch dazu, meine Migräne zu «greifen».

Meine Migräne: Hugo
sehr persönlich
Dieses von Migräne inspirierte Gemälde zeigt einen Hund, der ausschließlich während eines Anfalls gemalt wurde und die Intensität und die puren Emotionen des Augenblicks einfängt. Die chaotischen Pinselstriche und lebhaften Farben spiegeln den Schmerz und den Kampf wider. Die Hundefigur symbolisiert Widerstandskraft und Kameradschaft und deutet vielleicht auf eine Reise hin, die zur Akzeptanz führt. Das Kunstwerk dient als Katalysator für den Dialog mit der Migräne und regt im Laufe der Zeit zum Nachdenken und Verstehen an. Daher hat meine Migräne einen Namen: Hugo. Durch den ausdrucksstarken Einsatz meiner Hände wird das Gemälde zu einer kraftvollen Manifestation der körperlichen und emotionalen Erfahrung und löst letztendlich eine transformierende Konversation mit der Krankheit aus.
Ihre weiteren Bilder sind sehr künstlerisch und ausdrucksstark. Sie können sogar an der Art International in Zürich vom 11. – 13. Oktober 2024 Ihre Bilder ausstellen. Wie kam es dazu?
Ja, das war mehr ein Zufall. Dass ich mich und meine Emotionen so ausdrücken kann, war mir bis dahin nicht bewusst. Das ist übrigens auch nicht das Ziel der Kunsttherapie, dass ein Bild «schön» oder «ansprechend» wird. Es entsteht, was auch immer dem Patienten wichtig ist. Bei mir sind das nun halt zufällig ausdrucksstarke Bilder geworden. Es sind schon einige Institutionen daran interessiert, die Bilder auszustellen. An der Kunstmesse im Oktober versuche ich mit den Bildern ein breites Publikum anzusprechen und zusammen mit Migraine Action auf das Thema Migräne aufmerksam zu machen.
Können Sie nun jeder Person mit Migräne eine Kunsttherapie empfehlen?
Ich denke es ist nicht mal entscheidend, ob es eine Kunsttherapie oder sonstige Therapie ist. Ich habe gelernt, dass es wichtig ist, sich mit möglichen Ursachen auseinanderzusetzen. Bei mir scheint der Stress mit der Migräne zusammenzuhängen. Seit dem Klinikaufenthalt geht es mir viel besser, und ich bin noch bei ca. fünf Migränetagen pro Monat, die jedoch viel sanfter sind und mich nicht ins Bett zwingen. Auch wichtig ist zu erkennen, dass die Migräne ein Teil meines Lebens ist und ich lernen muss, mit ihr umzugehen und nicht gegen sie zu kämpfen.
Werden Sie nun auch weiter malen?
Interessanterweise habe ich, seitdem die Migräne nicht mehr eine so zentrale Rolle in meinem Leben spielt, auch keine Lust mehr zu malen. Meine Bilder entstammten immer kurz vor einer Migräne. In dieser Phase war ich besonders kreativ und konnte toll malen. Seit ich diese Phase nicht mehr so stark habe, ist auch diese Kreativität verschwunden. Das ist einerseits schade für weitere Bilder, aber viel lieber so und weniger Migränetage. Auch hilft mir mein neuer Job, der zwar auch anspruchsvoll ist, aber ohne Reisetätigkeit und nur mit einem 80% Pensum. Denn Erholung und ein persönlicher Ausgleich sind weiterhin der Schlüssel für ein gutes Migränemanagement.
Die Bilder von T. W., der unter dem Künstlernamen «Wisi» seine Anonymität wahrt, sind auf www.wisi-art.ch zu betrachten.
Bilder. T.W./ Wisi-art
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